KUNST AM BAUM

Als Schutzort auserkoren, sich jedoch als hinterlistiger Gefahrenbereich entlarvend, durchzieht der Baum als Weltachse Märchen, Mythen und Sagen der Epochen. Dicht aneinandergereiht, zu Wäldern formiert, oder alleinstehend an einem geographisch markanten Ort: fortwährend wirken Kreisläufe, durch dessen Kräfte komplexe Verzweigungen und Wechselwirkungen entstehen, die über lineare Dualismen hinausgehen. So erzählen nordische Legenden von Unterwelten, die tief in den Wurzeln verankert sind, sich jedoch ihren Weg in die himmlische Sphäre über den Stamm entlang am weltlichen Leben erschließen. Der Baum fungiert als Transmitter zwischen der irdischen Existenz und dem Transzendenten. Als Medium vermittelt er aber nicht nur zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur:innen. Der Baum wurde zum Richter, zum Henker, aber auch zum zentralen Organ der Rechtsprechung. Zum Zwecke der politischen Meinungsfindung unter freiem Himmel wurden Versammlungen unter Gerichtsbäumen nach germanischem Recht abgehalten. Als lebende Manifestation der Ordnung, des Fortschritts und des ökologischen Gleichgewichts verkörperten Bäume in der Aufklärung dagegen die Ideale der Epoche und trugen zur Entfaltung einer neuen Denkweise bei, die die Menschheit auf ihrem Weg zu Wissen und Fortschritt begleitete. In der Romantik reinszenierte sich der Baum zum Sehnsuchtsort, um die Idylle vor der Realität zu retten. Er fungierte als Bindeglied zwischen der materiellen Welt und der spirituellen Sphäre, diente als metaphorisches Instrument zur Darstellung komplexer Gefühle. 

 

Der Baum ist also weitaus mehr als ein lebenswichtiger Bestandteil des Ökosystems. Kein anderes sozial konstruiertes Symbol wurde so oft besungen, umtanzt, aber auch gefürchtet und vernichtet. Insbesondere aber wurde der Baum zum Symbol des demokratischen Grundverständnisses, der Teilhabe und etablierte sich zum Ort jedmöglicher Zusammenkünfte. Er agiert inmitten von gesellschaftlichen und politischen Diskursen zum umkämpften Element. Das Anketten von Demonstrant:innen an Bäume als Manifestation der Standhaftigkeit und das Verharren von Aktivist:innen in Baumkronen ist ein wiederkehrender Ausdruck von Bürger:innenbeteiligung und des Rechts an öffentlicher Meinungsäußerungen. Nicht nur im öffentlichen Diskurs steht der Baum inmitten des Spannungsfelds, auch im Privaten birgt der Baum ein Repertoire an wechselseitigen Gefühlen. Etwa die Furcht vor heiklen Familienthemen unter’m Baum, zur Weihnachtszeit. Der Baum ist Verhandlungsort. 

In der künstlerischen Auseinandersetzung wird der Baum deshalb immer wieder als Mediator eingesetzt. So pflanzte Joseph Beuys in Kassel 7000 Bäume und postulierte die Intervention im Stadtraum als Soziale Plastik – seine Vorstellung nach einer gesellschaftsverändernden Kunst, in der der Mensch nach dem Allgemeinwohl betreffenden Handeln strebt. Das Pflanzen von Bäumen als künstlerische Intervention birgt Potential zum Dialog, zum Austausch und formiert sich zu einem gemeinsamen Nenner: der Baum bildet das unabdingbarste zirkulare System unserer Zeit. Dabei ist die Wahl des Platzes so symbolträchtig wie die Mythen, die den Baum umgeben.