TOTAL LOSS

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Um der Störung der musealen Ordnung entgegenzuwirken, arbeiten Kunstmuseen zumeist mit akribischer Kontrolle über jeden Aspekt ihrer Umgebungen. In kaum einer anderen Institution wird so detailgetreu archiviert, dokumentiert, analysiert. Nicht nur um die kuratorisch-intendierte Wirkung zu verstärken, sondern um die Werke vor Verblassung zu schützen, werden Lichtquellen behutsam organisiert. Die Regulierung der Luftfeuchtigkeit und Barrieren aus Glas zwischen Werk und Betrachter:in sollen Schutz vor äußeren Einflüssen sicherstellen: Museen gleichen geschlossenen Systemen. Wie in jedem regulierten System sind Störungen jedoch nur begrenzt kontrollierbar. Die wohl unberechenbarste Störquelle stellen im Museumskontext menschliche Akteur:innen dar.

Bei dem Versuch ein Selfie mit auf Säulen angeordneten Porzellan-Artefakten zu machen, kippten diese im Domino-Effekt um, mit der Folge, dass die Ausstellung in einer italienischen Kirche vorzeitig beendet wurde. Eine Frau klopft testhalber gegen das Kunstwerk Balloon Dog von Jeff Koons – und die Skulptur zerschellte in tausend Stücke. Im Metropolitan Museum of Art, New York fiel eine Kunststudentin versehentlich in Picasso’s L’acteur. Martin Kippenbergers wasserbasierte Skulptur Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen wurde von der Reinigungsfachkraft weggewischt. Etwa dreißig Werke werden pro Jahr in Kunstmuseen durch unbewusste oder bewusste menschliche Steuerung manipuliert, zerstört und entwendet. So drangen am 18. März 1990 zwei als Polizist:innen verkleidete Personen in das Gardner Museum, Boston ein und stahlen dreizehn Kunstwerke. Als Ausdruck der Standhaftigkeit und des Protests der Stifterin – wonach keine Kunstwerke aus dem Museum entfernt oder in der Hängung verändert werden dürfen – erinnern die leeren Rahmen an den Wänden bis heute an die Irritation und konstruieren eine grotesk anmutende Situation. Anders grotesk verhielt es sich im Falle des Juwelendiebstahls im Grünen Gewölbe 2019 in Dresden. Zwei Sicherheitsbeauftragte beobachteten auf Bildschirmen, die das Bildmaterial der Überwachungskameras wiedergaben, wie innerhalb weniger Minuten im Juwelenzimmer Diamanten gestohlen wurden – durften aber aufgrund des strengen Regelwerks der Arbeitsabfolge nicht selbst einschreiten.

Überwachungskameras dienen der Dokumentation von Zuständen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Wird die normierte Umgebung durch ein Missgeschick oder Kalkül unterbrochen, so ergibt sich daraus ein eigenständiges Phänomen: das Bildmaterial der CCTVs transformiert sich vom Kontrollgewinn zum Kontrollverlust. Was sich in der physischen Sphäre als zerstört darstellt, manifestiert sich in der digitalen Abbildung als gestört. Das, was im Ausstellungsraum entwendet wird, deformiert sich auf dem filmischen Medium als entfremdet. In einer Umkehrung der Perspektive lässt sich eine differenzierte Definition von Glitch verhandeln, welche nicht nur Störungen in technologischen Apparaten als außerhalb menschlicher Kontrolle betrachtet, sondern menschliches Handeln als eine unkontrollierbare Variable innerhalb des digitalen Bildes interpretiert.

Aus welcher Perspektive wir Störungen betrachten, soll im Ausstellungsvorhaben Total Loss besprochen werden. Archivmaterial von CCTV-Aufnahmen, die Unfälle und Sabotagen in Museumssälen dokumentieren und aus meiner vorherigen Arbeit Ästhetik des Scheiterns bereits vorliegen, werden im Ausstellungsraum als künstlerisches Medium übersetzt und somit als Videokunst neu kontextualisiert. Die für gewöhnlich im Verborgenen gelagerten, ‘störbelasteten’, fast schon voyeuristischen, aber auch humorvollen Video-, Ton- und Bildaufzeichnungen brechen mit den Regeln des Ausstellungsbetriebs, indem das Ungewollte zum zentralen Gegenstand der Ausstellung wird: die Störung. Ergänzt werden die Arbeiten durch zwei Projektionen, die die Einbrüche des ‚Gardner Heist’ und des Grünen Gewölbes zeigen. Hinter einer durch Plexiglas geschützten Vitrine befinden sich Abbildungen von Werken und Artefakten. Anstatt den üblichen Werkbeschreibungen sind sie jedoch mit Ort, Datum und Uhrzeit versehen, da sie von Interpol gefahndet werden und somit aus dem Katalog Les œvres d’art les plus recheerchées entstammen. Das Vorhaben soll aber auch dem Diskurs nachgehen, was mit Kunstwerken geschieht, die nach einem Zwischenfall ausgemustert werden. Gezeigt wird die Arbeit Echo Tektur von Sven Gatter, welche in einer Ausstellung von Besucher:innen so maßgeblich verändert wurde, dass die Werkaussage verloren ging. In einer weiteren Installation wird der/ die Besucher:in selbst zum Glitch. Eine im Ausstellungsraum angebrachte Überwachungskamera filmt in Echtzeit. Dabei werden die Aufnahmen simultan an einen im Raum installierten Monitor wiedergegeben. Der/ die Besucher:in befindet sich somit in der selbigen, ambivalenten Herausforderung wie Museumswärter:innen es tun: das monotone Ausharren auf das Unbekannte oder auf die Unterbrechung korrelieren mit dem Umstand, mit der Ereignislosigkeit auszukommen und zugleich dafür zu sorgen, dass sie bestehen bleibt.

1 Bezeichnung über einen Schaden an einem Kunstwerk im Versicherungskatalog, wenn die Werkaussage irreparabel verändert ist